Hier im Newsfeed finden sich (fast) jede Woche neue Beiträge zum Thema Therapie. Trauerarbeit, Beziehungsprobleme, Existenzängste und weitere Themen werden hier regelmäßig angeboten und überarbeitet. Schreiben Sie mir Ihre persönlichen Themenvorschläge.
Das jüngere Ich: Früher war alles besser. Teil 1
Sind wir gut im Verdrängen oder haben wir funktionale Bewältigungsmechanismen? Lösungsfokussierte Therapie als Instrument der Therapie.
Es gibt Phasen und damit verbundene Erfahrungen und Emotionen im menschlichen Leben, die keiner Wiederholung bedürfen: Mehrfach durch eine Prüfung fallen, finanzielle Nöte und berufliche Absagen durchleben, völlig überraschend vom Partner verlassen werden, oder allein schon die Vorstellung, wie verloren und richtungslos sich das Dasein als Jugendlicher anfühlen kann. Danke, nein, das müssen wir nicht noch einmal so haben. Tendenziell neigen Menschen dazu, im Nachgang die schönen Dinge hervorzuheben, und radieren die Erinnerung an Gefühlschaos, soziale Ausgrenzung, Versagensängste, Demütigungen oder emotionale Gewalt liebend gerne aus. Auch gesamtgesellschaftliches Rückblicken und Empfinden sowie mediale Dokumentationen und filmische Darstellungen, führen je nach Auswahl zu einer drastischen Vereinfachung der Zustände. Aus den 80er Jahren bleibt dann resümierend übrig, dass die Jugend-Subkultur so wunderbar unangepasst und die Musik mit NDW und Punk-Attitüde so viel besser war als heute, als das man sich gleichzeitig dem kalten Krieg, militärischer Aufrüstung, Aids, Tchernobyl, Atomkraft, steigender Ausländerfeindlichkeit oder ganz einfach der Langeweile einer Dorfjugend gedanklich erneut gegenüber sehen möchte. Selektives Erinnern als Selbstschutz, das uns dabei hilft Emotionen positiv zu halten und uns davor bewahrt in Grübeleien und gefühlte Abwärtsspiralen zu geraten. Im Sinne der psychischen Bewältigung eines Erwachsenen, sicherlich ein funktionales Modell. Es gibt hingegen Menschen, die ihre frühen Überzeugungen hegen und auch nicht mit dem Eintritt in die kommerzialisierte Leistungsgesellschaft über Bord werfen wollen. Das bedeutet, dass manches negative Erleben zur persönlichen Erinnerungsmatrix gehören kann.
Die Blase der Psychologen und Therapeuten – harmoniesüchtige Schönrederei?
Die Vorurteile gegenüber der psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung sind zahlreich. Im klinischen Kontext liegt heute immer noch die Vorstellung des Ruhigstellens durch unbegrenzte Medikamentierung in der Luft, dem der Patient willenlos ausgeliefert ist, sobald er sich freiwillig in Behandlung begibt oder noch schlimmer: von ärztlicher Seite zwangseingewiesen wird. Das Bild vom fixierten Patienten ist in vielen Köpfen noch präsent. Der Berufsgruppe der Psychologen und Therapeuten wird von Kritikern gern unterstellt, eine harmoniesüchtige, unrealistische, um sich selbst zentrierte Weltsicht zu verbreiten, in der sich alles schön geredet und Negatives ausgeklammert wird. Eine Blase der Harmonie, ein Zufluchtsort für Traumtänzer und die Generation Blumenkinder. Im Hintergrund schwang und schwingt auch heute noch die Unterstellung einer Art Gehirnwäsche in der Therapie mit. Ausgelöst durch klinische Schreckensmethoden früherer Zeiten, wie die der Lobotomie, einem neurochirurgischem Eingriff bei dem Nervenbahnen im Gehirn durchtrennt wurden. Oder aber die Manipulation des Einzelnen durch neurolinguistische Verfahren, die für den Laien undurchsichtig sind und als eine übergriffige Umprogrammierung des Denkens erscheinen. Ergänzend stell(t)en esoterische Pseudowissenschaften, Experimente mit Substanzen wie LSD in den 60er und 70er Jahren und sektiererisches Auftreten mancher Therapieformen, keine gute Außenwerbung dar. Pädagogen, Psychotherapeuten und Lehrer erschienen vielen Jugendlichen meiner Generation als suspekt, nicht vertrauenswürdig. Ich, zum Therapeuten? Niemals! Das Lieblingsargument meines jugendlich- heranwachsenden 80er Jahre Ichs, war zudem die Frage: Wie soll mir ein völlig fremder Mensch Ratschläge erteilen?
Ich, zum Therapeuten? Niemals! Wie soll mir ein völlig fremder Mensch Ratschläge erteilen?
Diese Frage wurde mir in den folgenden Jahrzehnten ausführlich beantwortet: unter anderem und insbesondere, indem der Therapeut einem Klienten oder Patienten eben keine Ratschläge erteilt. Therapeuten regen die Selbstwahrnehmung und Eigenwirksamkeit lediglich an, versuchen im therapeutischen Prozess das hervorzuheben, was an Ressourcen vorhanden ist, und darauf wartet wieder eingesetzt zu werden. Schwierige inhaltliche Verrenkungen ergeben sich dennoch in der Darstellung von Psychotherapie, wenn therapeutische Schulen im Grunde, keine Schule, erst recht kein Dogma oder eine schematisch anwendbare Methodik darstellen wollen. In der Lösungsfokussierten Therapie, die sich aus den systemischen Bestrebungen der us-amerikanischen Palo-Alto-Bewegung der 70er Jahre entwickelt hat, findet sich solch ein Ansatz.
Psychotherapie ohne feste Zuschreibung einer therapeutischen Schule
Die kalifornische Palo-Alto-Forschungsgruppe aus Psychiatern, Psychologen und Sozialarbeitern, die ursprünglich zum Thema Schizophrenie geforscht hatten, gilt als die Wiege der systemischen Therapie. In diesem Umfeld entstanden weitere Therapieansätze und Formen, die sich bis heute weiterentwickeln. Die Gründer der Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie wollten keine Vorgaben oder feste Vorgehensweisen für den Therapeuten erstellen. Für psychiatrische Ärzte im klinischen Alltag oder auch die gesetzten und anerkannten Verfahrensvertreter der Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie, war das in den End-70er Jahren, ein ungewohnter und sogar unwissenschaftlicher Ansatz. Der Therapeut gilt nicht mehr als Taktgeber oder Lenker der Therapie, sondern der Patient selbst, ist der Experte seiner selbst und soll lediglich initiiert werden. Problem- und Symptomorientierung gilt es zu vermeiden. Die mentale Ausrichtung des Patienten oder Klienten ist ganz klar auf die positiv erdachte Zukunft ausgerichtet, die gedanklichen Altlasten der Vergangenheit sollen explizit ausgeklammert werden. Dieser Ansatz positioniert sich deutlich konträr zu den Therapieformen der ersten Generation, der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie, in denen die Vergangenheitsbearbeitung das zentrale Element ist.
Die Lösungsfokussierte Therapie orientiert sich nicht an Symptomen oder an der Problemanalyse
Es gibt Manuale zur nicht-direktiven Vorgehensweise und Auflistungen lösungsfokussierter Fragen, doch der einzelne Klient (der keinen Patienten mehr darstellen sollte, um sich nicht am Symptom zu orientieren) trage jegliches Lösungspotenzial in sich, so dass sich jeder Lösungsweg individuell vollzieht, und an dem orientiert, was für die Zukunft gewünscht ist. Probleme werden in der Lösungsfokussierten Therapie nicht analysiert, sondern es werden bisherige Lösungen einer intensiven Betrachtung unterzogen. Der nicht-direktive Therapeut führt den Klienten aus einer Perspektive, die als „one-step-behind“ beschrieben wird, und macht den Klienten zum Experten der Lösungsfindung. An der Stelle lässt sich einwenden, dass zumindest die Maßgabe, sich nicht mit der Vergangenheit oder einem Problem intensiv zu beschäftigen, therapeutisch betrachtet schon eine Direktive darstellt und in sich widersprüchlich scheint. Und das diese Art des sich Zierens eine Schulform darzustellen, insofern konstruiert wirkt, dass man um fähige Therapeuten auszubilden, einen schulischen Unterbau benötigt und demzufolge auch als Methodik praktiziert.
Den gesunden Fokus auf die Umwelt setzen, ohne emotionale Überlastung auszulösen
Abseits der therapeutischen Ausrichtung und deren Unterschiede im Verhältnis zwischen Patient und Therapeut, bleibt die Frage: Wie setze ich einen gesunden Fokus, der mir nicht durch Ausblenden des Negativen, den Überblick auf das Gesamte versperrt, und es mir ermöglicht empathisch-realistisch das Umwelt-Geschehen zu betrachten ohne gleichzeitig emotionale Überlastung auszulösen. Werden wir Menschen mit zunehmendem Alter müde, uns gegen Widrigkeiten aufzulehnen, weil wir intuitiv spüren, dass eine ständige Beschäftigung mit dem Übel der Welt uns zu unglücklichen Grüblern werden lässt? Aus lerntheoretischer Sicht der Verhaltenstherapie, spricht diese Art der Bewältigung dafür, dass wir uns einen gewissen Umgang mit Problemen und schwierigen Lebenslagen angeeignet haben, der uns weniger schadet.
In Teil 2 der Fortsetzung folgt ein Beitrag zur gesünderen Verarbeitung von Erinnerungen und Emotionen vor dem Hintergrund der Kognitiven Verhaltenstherapie.