Ich verstehe mittlerweile, wieso es eine gewisse Anzahl von Männern gibt, die am Abend von einer Arbeit zurückkehren und einfach nur nicht sprechen möchten. Sprachlich korrekt müsste es heißen, dass es eine gewisse Anzahl von Menschen gibt, die nach Feierabend sprechfaul und abwesend wirken. Doch stattdessen zeigt sich- auch bei reflektierten Zeitgenossen- das Bild vom genervten Mann, Partner oder Ehemann, gefangen in Beziehungen und einem andauernden Redefluss. Stumm und zuweilen mimisch stur sitzen sie als Anwesende bei einem Abendbrot und lassen Redeschwalle von Partnern und Partnerinnen sowie anderer Familienmitglieder über sich ergehen. Ein Achselzucker kommentiert den Hinweis, dass die Tochter im Kindergarten als verhaltensauffällig aufgefallen ist, oder dass der Hund heute schon wieder sein Essen auf dem hellen Teppich erbrochen hat. Ein langgezogenes mmmh folgt auf die Frage, ob er sich die Mail mit dem Vorschlag zur Terrassenbodengestaltung angesehen habe. Und ob er auch nicht vergessen hat, dass am Wochenende, eine Einladung zum Kinderfest in der Nachbarschaft ansteht. Wortkarge Kommunikation in Reinform. Suchte man Spezialisten in der Ausübung spartanischer Ausdrucksformen, gäbe es landesweit Expertenreichtum.
Typische Mann-Frau-Szenen im Realitätencheck
Nun ist es aber so, dass schon im kleinen Realitätencheck, diese Mann-Frau-Szene in ihrer Universalität umgehend Risse bekommt. Gehen wir einmal davon aus, die eigene Mutter ist eine Hochleistungssprecherin, Cousine und Schwester haben ebensolches Sprechtalent, dann ist es dennoch unwahrscheinlich, dass wir keinen einzigen männlichen Vertreter dieser Gattung kennen. Ein Arbeitskollege, der permanent die Meetings zum Ausufern bringt, und einem wertvolle Zeit stiehlt. Ein älterer Nachbar, der häufig in seinem Vorgarten lauert, und den man nur mit äußerster Unhöflichkeit in seinem Reden bremsen kann, die er zum Glück nicht als solche wahrnimmt.
Wortkarge Frauen: es gibt sie
Es wird demnach im Umkehrschluss so sein, dass es einige Frauen gibt, mit denen die jeweiligen Partner und Partnerinnen die gleichen wortkargen Erfahrungen machen. Diese Frauen sind herzlich eingeladen, sich im Text ebenso wiederzufinden, auch wenn darauf nicht stetig hingewiesen wird. Es versteht sich ganz von selbst. Manchem wird das nicht ins Bild passen, denn Frauen quasseln doch ohne Unterlass, shoppen gern und hängen permanent am Telefon. Die feministische Linguistik beziehungsweise in der Berücksichtigung aller Geschlechter, die linguistische Geschlechterforschung, hilft uns ein wenig Licht auf die Plattitüden- und Schubladenverwendung einer Gesellschaft zu werfen. Einer Gesellschaft, in deren breiten Masse, Männer stets männlich attribuiert, und Frauen hingegen in ihren sozialen Zuschreibungen von Eigenschaften diametral entgegen gesetzt verortet werden. Zwei Antipoden sozusagen: auf einem Kreis betrachtet, liegen sich die Geschlechter entgegengesetzt, und dass von jedem Punkt der Kreislinie aus betrachtet (gleich weit entfernt, wie an einem runden Esstisch).
Wortsparende Menschen überproportional in Berufen mit hohem Sprechanteil
Schaue ich mir auf dem kernigen Männer-TV-Kanal -mit den 4 Goßbuchstaben- eine Handwerkerdokumentation an, in der eine Frau als Fliesenlegerin zugange ist, oder in weiteren Sendungen, eine Flugzeug-oder Automechatronikerin zu sehen ist, dann stellt das für viele (Männer) eine exotische Ausnahme dar. Diese Ausnahme ist von Interesse und wird auch geduldet, sogar bewundert, doch das Gros der Frauen wird weiterhin als gesprächig, beautyprodukt- und klamottenkaufsüchtig wahrgenommen. Nun ist es vermutlich sehr stark vom Beruf abhängig, inwieweit der wortsparende Lebenspartner in seiner Persönlichkeit ausgeprägt ist. In Zeiten von Home-Office komme ich seit zwei Jahren fast täglich in den Genuss, meinem Partner und seiner Redefrequenz zu lauschen. Ganz ehrlich, ich dachte, dass wir Therapeuten (untereinander) sehr viel reden. In der Therapie überlässt man weitgehende Sprechanteile dem Patienten, je nachdem wie direktiv die gewählte therapeutische Methode sich darstellt. Doch das Redeaufkommen im IT-Bereich, dem Arbeitsfeld meines Partners, hatte ich komplett unterschätzt. Vieles davon scheint nicht einmal Fachjargon zu sein. Es wird wahnsinnig viel geredet. Und dass nahezu ausschließlich von Männern. Ich erlebe, wie ich mehrfach am Tag denke: ich würde wahnsinnig werden, bei so viel Gequassel. Den Kommentar, das mein Friseur sogar ruhiger sei, konnte ich mir nicht verkneifen. Fortsetzung folgt